Steigende Meeresspiegel und Ertrinkungszahlen: Herausforderung Klimawandel
Der
Klimawandel bedroht die menschliche Gesundheit weltweit auf verschiedenen
Wegen.[1]
[2]
Von seinen unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen, einschließlich
Verletzungen und Todesfällen durch extreme Wetterereignisse, stellt das
Ertrinken ein erhebliches Risiko dar und wird dennoch von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eine zu wenig beachtete Bedrohung
eingeschätzt.[3]
Schätzungen gehen von circa 240 bis 300 Tausend Todesfällen pro Jahr aus.[4]
[5]
Einige Ursachen sind offensichtlich wie das Ertrinken bei häufigeren
Hochwasserereignissen. Andere erschließen sich nicht unmittelbar wie
Veränderungen des Ertrinkungsrisikos durch verändertes Freizeitverhalten aufgrund
höherer Sommer- und Durchschnittstemperaturen.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind komplex, Greenpeace[6] zählt einige von ihnen auf, wie:
1.
Hitzeperioden
mit tropischen Temperaturen und Trockenheit
2.
Erwärmung
der Binnengewässer
3.
Zunahme
von Extremwettern (Sturm, hohe Niederschlagsmengen bei lokalen
Wetterereignissen)
4.
Meeresspiegelanstieg
durch Abschmelzen der Gletscher und Abtauen der Pole
5.
Ausbreitung
von Wüsten
6.
Trinkwasserknappheit
7.
Veränderte
CO2-Aufnahme der Ozeane
Das Risiko des
Ertrinkens ist untrennbar mit Umweltfaktoren verbunden. Die überwiegende
Mehrheit der Ertrinkungsunfälle ereignet sich in natürlichen Gewässern (Flüssen,
Seen, Teiche und Ozeane) in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, aber auch in Deutschland[7].
Wechselnde Klima- und Umweltbedingungen wie steigende Temperaturen und sich
verändernde Niederschlagsmuster verändern das Verhalten an und in Gewässern [8]
[9]
und lassen das Ertrinkungsrisiko weltweit ansteigen.[10]
Primär steigende Umgebungstemperaturen erhöhen das Risiko des Ertrinkens im Freien. Wärmere Temperaturen verleiten die Menschen dazu, sich länger im Wasser aufzuhalten. Studien[11] zeigen, dass ein anomal wärmeres Jahr von 1,5 Grad mit einem Anstieg der Todesfälle durch Ertrinken bei Männern im Alter von 15 bis 24 Jahren in den USA um 13,7 Prozent verbunden ist. Von allen Verletzungsarten war das Ertrinken diejenige, die am stärksten von den steigenden Temperaturen betroffen war. Belege aus Australien weisen auf eine erhöhte Risikobereitschaft an Tagen mit wärmeren Temperaturen hin.[12] Extreme Hitzeereignisse stiegen von 130 Ereignissen zwischen 1980 und 1999 auf 432 zwischen 2000 und 2019[13] mit einer besorgniserregenden Dominanz außerhalb der Sommersaison.[14] Hohe Temperaturen wirken sich damit auch auf die Eisstabilität aus, wobei in eisbedeckten Regionen mit wärmeren Wintern in ganz Kanada vermehrt Ertrinkungsfälle zu verzeichnen waren.[15] Extreme Hitze veranlasst die Menschen dazu, die Gewässer früher am Morgen und später am Abend aufzusuchen, was möglicherweise dazu führt, dass die bisherigen Zeiten des bewachten Badens überdacht werden müssen.
Den Zusammenhang zwischen saisonalen Höchsttemperaturen und
Ertrinkungszahlen hierzulande betrachtet eine exemplarische Auswertung der DLRG.[16]
Beachten wir die
ersten vier der von Greenpeace genannten Folgen, dann erscheint der Bezug zur
DLRG klar. Sie betreffen unsere Kernaufgaben wie die Schaffung und Förderung
aller Einrichtungen und Maßnahmen, die der Bekämpfung des Ertrinkungstodes
dienen, sowie die
Wandelt sich das
Klima, wird das Auswirkungen auf alle genannten Kernaufgaben haben. Ihre Lösung
wird sich verändern und weiterentwickeln müssen. Obwohl das Ausmaß der
atmosphärischen Erwärmung noch ungewiss ist, sind die Auswirkungen des
Klimawandels auf das Ertrinkungsrisiko bereits spürbar und können nicht länger
ignoriert werden. Die
Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 Juli sollte als
Extremwetterereignis uns eigentlich unmittelbar vor Augen geführt haben, welche
Gefahren die Erderwärmung für uns direkt birgt. Überschwemmungen
und tropische Wirbelstürme machten zwischen 2000 und 2019 44 beziehungsweise 28
Prozent aller Katastrophen aus, und in beiden Fällen ist Ertrinken eine der
häufigsten Todesursachen.
Norddeutschland besitzt inklusive aller Inseln eine Küstenlänge von rund 3.700 Kilometer für einen Meeresspiegelanstieg gefährdete Gebiete unterhalb von fünf bis drei Metern unter N.N. In dieser Risikozone leben rund 3,2 Millionen Menschen. Gegenwärtig sind die meisten deutschen Küstenbereiche durch Deiche zwar sehr gut geschützt, allerdings bieten sie keine hundertprozentige Sicherheit vor Sturmfluten. Sollte der Meeresspiegel in Deutschland bis Ende des Jahrhunderts auf einen Meter ansteigen, wäre kaum mehr Wind notwendig, um Wasserstände auf Sturmflutniveau zu heben, warnt unter anderem das Norddeutsche Küsten- und Klimabüro im Helmholtz-Zentrum Hereon. Bei Helgoland beispielsweise ist seit 1954 der Meeresspiegel um 15 Zentimeter gestiegen und er steigt derzeit mit einer jährlichen Anstiegsrate von 2,6 Millimetern weiter.[17]
Rechtzeitige Warnungen an die und Aufklärung der Bevölkerung über richtiges sicherheitsbewusstes Verhalten, präventive und Rettungsmaßnahmen gehören zweifellos zu den Aufgaben der DLRG. Zudem ist sie Leistungserbringerin im Katastrophenschutz fast aller Bundesländer und betreibt an der Mehrheit der Küstenabschnitte von Ost- und Nordsee einen zentralen Wasserrettungsdienst.
Das gesellschaftliche Ziel, diesen den genannten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad[18] zu begrenzen, ist bekannt. Leider ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Ziel nicht mehr erreichen können, jedoch sehr hoch. Warum ist es trotzdem so schwierig, entschlossen zu handeln?[19]
Die Gründe sind vielfältig und liegen in der menschlichen Natur: Wir schätzen bei Entscheidungen in der Regel den unmittelbaren Vorteil höher ein als einen erst in der Zukunft liegenden Nutzen. Mit Bezug auf den Klimawandel ist das problematisch, denn hier sind langfristige Investitionen gefragt, die sich womöglich erst in nachfolgenden Generationen auszahlen. Wir aber leben im Hier und Jetzt und haben ein starkes Interesse daran, den Jetzt-Zustand bestmöglich zu gestalten. Für das Erreichen des 1,5 oder 2 Grad-Ziels macht es in der eigenen Wahrnehmung keinen Unterschied, ob ich als Einzelner etwa mit dem Fahrrad oder mit dem Auto zur Arbeit fahre. Wenn aber jeder denkt, man könne nichts ändern und dementsprechend handelt, kommt es nicht zur Lösung der Herausforderung. Ein weiterer Punkt ist, dass Menschen vielfältige und oft zuwiderlaufende Ziele haben, zum Beispiel unseren CO2-Fußabdruck zu verringern oder doch in den Urlaub zu fliegen.
Es
gilt aber auch, die größeren systemischen Zusammenhänge zu betrachten und uns zu
fragen, wie Wirtschaft und Staat Verhalten steuern. Zum Schutz vor dem Klimawandel
wäre eine ähnliche Entschlossenheit des Staates wie in der COVID-19-Pandemie
hilfreich. Klare Handlungssignale der Gesetzgebung beispielsweise in Form von
ökonomischen Anreizen sind notwendig, um die Verantwortung für
Verhaltensänderung zum Klimaschutz nicht in erster Linie beim Individuum abzuladen.
Es gilt auch diesen Weg zu unterstützen. Beginnen können wir im Kleinen bei uns
selbst bereits jetzt.
Dr. Christoph Freudenhammer
[1] Haines A, Ebi K. The imperative for climate action to protect health. N Engl J Med Overseas
Ed 2019;380:263–73.
[2] Romanello M, McGushin A, Di Napoli C, et al. The 2021 report of the
Lancet countdown on health and climate change:
code red for a healthy future. Lancet 2021;398:1619–62
[3] World Health Organization. Global report on drowning: preventing a
leading killer.Geneva: World Health Organization, 2014
[4]
Franklin RC, Peden AE,
Hamilton EB, et al. The burden of unintentional drowning: global, regional and national estimates
of mortality from the global burden of disease2017 study. Inj Prev 2020;26:i83–95
[5] World Health Organization. Drowning. Geneva: World Health Organization,
2021.https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/drowning
[6]
Buckow, I.: Folgen des
Klimawandels [Internet]. Hamburg: Greenpeace; 28.02.2022 [abgerufen am
10.01.2023]. Verfügbar unter:
https://www.greenpeace.de/klimaschutz/klimakrise/folgen-klimawandels?BannerID=0818005015001047&utm_source=google&utm_medium=cpc&gclid=EAIaIQobChMInJH18K68_AIVy-F3Ch0WeArgEAAYAyAAEgIdHPD_BwE
[7] DLRG-Ertrinkungsstatistik 2022:
https://www.dlrg.de/informieren/die-dlrg/presse/statistik-ertrinken/
[8]
Chauvin M, Kosatsky T,
Bilodeau- Bertrand M, et al. Hot weather and risk of drowning in children: opportunity for prevention. Prev Med 2020;130:105885
[9] Fralick M, Denny CJ, Redelmeier DA. Drowning and the influence of hot
weather. PLoSOne
2013;8:e71689.
[10] World Health Organization. Regional office for the Western Pacific.
regional status report on drowning in the Western
Pacific, 2021.
World Health Organization. Regional
office for south- east Asia. regional status reporton drowning in south- east
Asia, 2021.
[11]
Parks RM, Bennett JE,
Tamura- Wicks H, et al. Anomalously warm temperatures are associated with increased injury deaths. Nat Med 2020;26:65–70.
[12] Peden AE, Franklin RC, Leggat PA. Breathalysing and surveying river
users in Australia to understand alcohol consumption and
attitudes toward drowning risk. BMC Public Health 2018;18:1393.
[13] Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED) and the
United Nations Office for Disaster Risk Reduction. Human
cost of disasters: an overview of the last 20 years 2000- 2019. centre for research
on the epidemiology of disasters (CRED) and the United nations office for disaster
risk reduction 2020.
[14] Perkins SE, Alexander LV, Nairn JR. Increasing frequency, intensity and
duration of observed global heatwaves and warm
spells. Geophys
Res Lett 2012;39
[15] Sharma S, Blagrave K, Watson SR, et al. Increased winter drownings in
ice- covered regions with warmer Winters. PLoS One 2020;15:e0241222
[16] „Gesundheitsrisiko Klimawandel - Neue
Herausforderungen für Sport, Beruf und Alltag“; Herausgeber Prof. Dr.
phil. Sven Schneider, M.A.; Universitätsmedizin Mannheim
[17] https://meeresspiegel-monitor.de/helgoland/trend/index.php.de
[18] Alfred Wegner-Institut
für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft. Interview mit
Hans-Otto Pörtner [Internet]. Bremerhaven: Helmholtz; 23.05.2022 [abgerufen am
10.01.2023]. Verfügbar unter: https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/15-grad-ziel-koennte-schon-in-den-naechsten-jahren-ueberschritten-werden/
[19] Maier E. "We need a critical
mass of people to behave in a climate friendly way”. Interview with Max Planck
Director Ralph Hertwig on climate protection and how to overcome barriers
[Internet]. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft; 21. September 2021
[abgerufen am 22. 02.2023]. Verfügbar unter: https://www.mpg.de/17576465/ralph-hertwig-behavioural-psychology-climate-protection